Die Wurzeln des Unglaubens – Analyse versus Intuition
Wer analytisch denkt, neigt weniger dazu, an Götter, Engel und Teufel zu glauben. Diese Ursache des Nicht-Glaubens wirkt auch dann, wenn Menschen auf subtile Art zum analytischen Denken angestoßen werden – zum Beispiel durch Bilder oder bestimmte Wörter.
Der Denker
Wer bestimmte Kunstwerke betrachtet, könnte dadurch seinen Glauben verlieren. Zumindest kurzzeitig. Denn nach einem Blick auf ein Bild der Skulptur „Der Denker“ von Auguste Rodin, geben Menschen weniger häufig an, religiös zu sein, wie eine Studie der Psychologen Will M. Gervais und Ara Norenzayan von der Universität British Columbia in Vancouver ergeben hat.Die beiden Forscher wollten herausfinden, welche kognitiven Grundlagen hinter religiösem Unglauben stehen. Eine Frage, die den beiden Wissenschaftlern zufolge bisher noch kaum untersucht worden ist, ob wohl in den letzten Jahren das Interesse an den kognitiven Grundlagen des Glaubens gestiegen ist.
Analyse versus Intuition
Die Versuchspersonen mussten drei Fragen beantworten. Bei jeder drängt sich zunächst eine rasche, intuitive Antwort – gewissermaßen aus dem Bauch heraus – auf, die jedoch falsch ist. Erst nach kurzem Nachdenken und einer Analyse des Problems, lässt sich die richtige Antwort finden. Menschen, die dadurch zum analytischen Denken gebracht wurden, gaben danach seltener an, gläubig zu sein.
Die Grundlage dafür bietet den Forschern zufolge eine alte Idee der Psychologie, wonach Menschen unterschiedliche kognitive Systeme getrennt nutzen können, nämlich einerseits Intuition und Bauchgefühl, andererseits analytisches Denken. Meist würden diese beiden Systeme parallel ablaufen, manchmal aber könne das analytische System das intuitive überholen.
Religion beruhe nun den beiden Psychologen zufolge auf einer Reihe an Vorstellungen, die der Welt des intuitiven Systems zugeordnet werden könnten, zum Beispiel eine Trennung von Körper und Geist und die Unsterblichkeit. Wenn nun die analytische Komponente des Denkens die intuitive überflügeln kann, müsse dies zu geringerem religiösem Empfinden führen. Dies sei durch das Experiment bewiesen worden.
„Unheilige“ Schrift
Der religiöse Glauben lässt sich aber auch auf noch subtilere Art beeinflussen, wie die Forscher durch weitere Versuche gezeigt haben. Eben, wie eingangs erwähnt, schon dadurch, dass die Versuchspersonen nur das Bild eines Denkers betrachten, ohne aber analytische Aufgaben lösen zu müssen. Ebenso schwand der Glaube, wenn die Versuchspersonen eine Gruppe von Worten zu einem sinnvollen Satz anordnen mussten. Kamen dabei Wörter wie „Analyse“, „Vernunft“, „Denken“ oder „rational“ vor, war der Effekt stärker.
Bei einem anderen Test ohne analytische Aufgabe mussten die Kandidaten ihre religiösen Einstellungen auf einem schriftlichen Fragebogen angeben. Dazu wurden zwei Schriften verwendet: Manche Personen erhielten eine leicht lesbare, andere eine schwer lesbare. Menschen, denen die schwer lesbare Schrift vorgesetzt wurde, gaben seltener an, religiös zu sein. Den Studienautoren zufolge ist dies ein Effekt der schwer lesbaren Schrift, deren Entziffern den analytischen Kanal der Psyche aktiviert.
Vorsicht in der Interpretation
Für die Studie wurden andere Einflüsse als Grundlage des (Un-)Glaubens, wie Kultur und Herkunft herausgerechnet. Die beiden Psychologen warnen jedoch vor vorschnellen Schlüssen und falschen Interpretationen ihrer Studie. Denn analytisches Denken sei sicherlich nur eine von vielen Ursachen für Unglauben. Zudem sage die Studie nichts über Wert und Rationalität des Glaubens aus, betonen die Autoren.
See on science.orf.at